Gestern hat meine Seele geweint.

Ich habe versagt.

Ohne Fleiß kein Preis?

Gestern sind wir auf die Höchsterhütte gewandert. Sie liegt wunderschön hochalpin im Südtiroler Ultental gelegen. Direkt am Grünsee. Auf 2.590 Höhenmeter. Ich gebe es zu: der Aufstieg war eine echte Herausforderung für mich, schließlich musste ich jedes meiner Zuviel-Kilos den steilen Anstieg zusätzlich zum Normalgepäck hochtragen. Aber wie heißt es so schön? „Ohne Fleiß kein Preis!“ Die Mühe lohnte sich. Nach 3 Stunden hartem Aufstieg durften wir das Panorama in vollen Zügen genießen.

Das Wasser des Sees funkelte wie das satte Grün der Schottischen Highlands und die umliegenden Berge spiegelten sich auf seiner Oberfläche. Naturbelassene Holzbänke luden die Wanderer zum Verweilen vor der Höchsterhütte ein. Zufrieden streckten wir unsere Gesichter der Sonne entgegen. Zwei junge Musiker machten mit „Wish you were here“ von Pink Floyd die Idylle perfekt.

 

“….How I wish, how I wish you were here. We’re just two lost souls swimming in a fish bowl …
Year after year. Running over the same old ground. What have we found? The same old fears- Wish you were here ….”

“ — Wie sehr ich mir wünsche, du wärst hier. Wir sind nur zwei verlorene Seelen, Die in einem Goldfischglas schwimmen, Jahr für Jahr,
immer wieder auf den gleichen alten Pfaden unterwegs. Was haben wir letztendlich gefunden? Nur die gleichen alten Ängste.Ich wünsche, du wärst hier. …“

Wenn der Kopf „Stell‘ dich nicht so an sagt!“ und die Seele „Nein!“ ruft.

Nein ….  wir wollten nicht „…immer auf den gleichen alten Pfaden unterwegs sein“ ….  Wir wollten Neues erkunden und die 4-Seen-Wanderung machen. Ein anderer Weg zurück ins Tal. Doch schon gleich am Anfang bekam ich ein ungutes Gefühl. Heute hier am Tisch sitzend und diesen Blog-Beitrag schreibend weiß ich, was es war. Es war Angst.

Die Markierung führte uns über ein Geröllfeld, in welcher es unvermittelt links des schmalen Weges unbefestigt steil bergab ging. Zumindest für mich. Mein Kopf warf mir die Worte zu „Jetzt stell‘ dich doch nicht so an!“ Aber meine Seele antwortete „NEIN! Ich kann das nicht!“.

Meine Schritte wurden langsamer. Mühsamer. Panischer. Ich krampfte mich an den Fels, bis meine Fingerknöchel weiß hervortraten. Mein Atem ging sehr, sehr schnell. Umkehren? Weitergehen? …. Gemeinsam entschieden wir uns, wieder zur Hütte zurück zu kehren und den Abstieg auf dem gleichen Weg zu machen, den wir zuvor hochgekommen waren. Lieber die alten Ängste, als diese neuen mir bis dato unbekannten….

Meine Jungs schauten mich liebevoll an: „Hey…. das ist doch vollkommen OK! Schließlich hast du es ja bis hoch geschafft!“ Ich nickte mit einem gequälten Lächeln, mein Herz jedoch weinte.

Ganz ehrlich? In Wirklichkeit fühlte ich mich als Versager. Unfähig. Als Looser. Als lästiges Anhängsel zweier sportlicher Menschen, die gerne diesen Weg gegangen wären aber aus Liebe zu mir sagten: „Ist doch ok….!“

2.590 Höhenmeter sind nicht genug…

Ich hatte mich so sehr auf diese Wanderung gefreut. An meine eigenen Grenzen heranzukommen, diese zu überwinden und das hochalpine Panorama zu genießen. Der Aufstieg gelang mir auch gut. Alt bekannte Ängste überwunden… Dass sich meine Grenzen mir dann ausgerechnet im Abstieg zeigten, damit hatte ich nicht gerechnet. Dass ich nicht ganz schwindelfrei bin, das weiß ich. Aber so extrem hatte es sich noch nie gezeigt. Ich war traurig…. 2.590 Höhenmeter waren nicht genug für mich. Es sollte auch noch dieser schwierige Weg sein…. Äußerlich verzog ich zwar keine Miene, innerlich aber war ich untröstlich.

Eigene Grenzen kennenlernen, sie akzeptieren und sich mit ihnen versöhnen

Wie sollte es anders sein? Meine Jungs haben mein Mienenspiel durchschaut. Ihre tröstenden Worte halfen mir aber leider nicht. Und auch nicht der Trost von anderen lieben Menschen, denen wir begegneten und die es sicherlich gut mit mir meinten „Sieh’s doch mal so – du hast es doch bis hoch geschafft! Das packen viele andere nicht!“ ….

Liebe Worte, aber falscher Bezug… Darum ging es nie… Mir ging und geht es nicht um den Vergleich mit anderen. Es geht mir nur um mich selbst. Um das Verlassen meiner Komfortzone und das Erfahren neuer Möglichkeiten….

Und so bleibt mir heute – am Tag danach – nur die Akzeptanz. Die Akzeptanz meiner Grenzen, die ich gestern deutlich erfahren habe. Und was mir auch bleibt ist die Versöhnung. Die Versöhnung mit mir selbst und meinen Ansprüchen an mich. Wenn ich mich nicht mit mir versöhnen würde, dann wäre ich für die ganze Zukunft eine Getriebene meiner selbst. Und ich würde im Streben nach erfolgreichen Grenzerfahrungen den Blick für die schönen Momente verlieren. Wie zum Beispiel das Gefühl innerer Ruhe und Zufriedenheit. Bei bewegender Musik. Auf der Höchsterhütte. Am Grüner See. Im wunderschönen Ultental….  Wish you were here!

PS – Postskriptum

  • Welche Grenzen willst du überwinden?
  • Welche wolltest du und hast es nicht geschafft?
  • Hast du dich mit dir versöhnt?
  • Oder bist du weiterhin Getriebener deiner selbst?

Denk‘ mal drüber nach …